Das Wachstum holt mein Kind später noch auf – oder?
Das kindliche Wachstum verläuft grundsätzlich sehr individuell: Während einige Kinder ihre gesamte Kindheit hinweg auf ihrer PerzentilkurveA wachsen, entwickeln sich andere im Vergleich zu Gleichaltrigen in kurzer Zeit besonders schnell – oder auffällig langsam. Stellen KinderärzteB bei ihren Patienten ein verzögertes Wachstum fest, gehen sie häufig zunächst von einer sogenannten konstitutionellenC – also erblichen – Verzögerung von Wachstum und Pubertät (abgekürzt oft KEV gennant) aus. Viele Ärzte meinen damit: „Das holt Ihr Kind spätestens in der Pubertät mit dem Wachstumsschub auf “. Kinder mit einer KEV benötigen länger, bis sie voll ausgewachsen sind und erreichen dann im Normalfall eine Größe, die nur leicht unter der vom Arzt berechneten Endgröße liegt. Kinder mit einem Wachstumshormonmangel erreichen ihre Zielgröße nicht und bleiben unbehandelt wesentlich kleiner als ihre errechnete mögliche Zielgröße. Man muss hier also genau unterscheiden.
Was genau ist eine konstitutionelle Entwicklungsverzögerung?
Leidet ein Kind an einer konstitutionellen Verzögerung von Wachstum und Pubertät (KEV), nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit in seinen ersten drei Lebensjahren[1] deutlich ab. Nach diesen ersten Lebensjahren normalisiert sich die Wachstumsrate zwar wieder, aber die körperliche Reife des Kindes entspricht dennoch nicht seinem biologischen Alter: Bis das Größenwachstum am Ende der Pubertät wieder aufgeholt wird, beträgt der Rückstand des Knochenalters auf das tatsächliche (chronologische) Alter in etwa 1,5[3] Jahre . Dementsprechend verzögert sich bei KEV auch der Eintritt in die Pubertät und findet durchschnittlich bei Mädchen mit 14 Jahren und bei Jungen mit 16 Jahren[6] statt. Daher werden betroffene Kinder auch oft als sogenannte „Spätzünder[3]“ bezeichnet.
Der Kinderarzt diagnostiziert eine konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät– und jetzt?
Wächst ein Kind zu wenig, tendieren Kinderärzte manchmal dazu, eine konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät zu diagnostizieren und eine Nichtbehandlung des mangelnden Wachstums zu empfehlen.Sie gehen davon aus, dass betroffene Kinder ihr aktuell verzögertes Wachstum im Laufe der Pubertät von alleine wieder aufholen. In vielen Fällen trifft diese Einschätzung zu, aber nicht immer „verwächst“ sich eine zu geringe Körpergröße im Laufe der Entwicklung – beispielsweise, wenn sie auf andere Ursachen, wie einen Wachstumshormomangel zurückzuführen ist. Wird eine durch einen Wachstumshormonmangel verursachte Wachstumsstörung nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, können Betroffene das Wachstum in späteren Jahren nicht mehr vollständig aufholen. Entwickeln sich Kinder über mehrere Monate hinweg unterhalb der für ihr Alter gültigen Perzentilkurve, sollten Eltern die Ursachen hierfür also in jedem Fall von einem pädiatrischen EndokrinologenD untersuchen lassen.
Eindeutige Abgrenzung von KEV zu einer durch Wachstumshormonmangel verursachten Wachstumsstörung
Sowohl bei der KEV als auch bei einem angeborenen Wachstumshormonmangel verläuft das Wachstum zunächst ähnlich[9]. Doch wie erkennen Eltern nun den Unterschied einer KEV zu einem behandlungsbedürftigen Wachstumshormonmangel? Ist mindestens ein Elternteil selbst verspätet in die Pubertät gekommen und lag in seiner Kindheit ebenfalls ein verzögertes Wachstum vor, ist eine KEV auch bei den eigenen Kindern wahrscheinlich. Für einen Wachstumshormonmangel kann es dagegen zahlreiche Ursachen geben (vgl. auch Ursachen einer Wachstumsstörung). Ein Indiz für einen angeborenen Mangel an Wachstumshormon ist jedoch, dass schon bei betroffenen Neugeborenen der Blutzuckerspiegel vergleichsweise niedrig ist. Handelt es sich um eineWachstumsstörung, die durch einen Wachstumshormonmangel bedingt ist, kann ein Kinderarzt oder ein pädiatrischer Endokrinologe durch verschiedene Bluttests die Hormonkonzentration und damit einen möglichen Hormonmangel eindeutig feststellen[8].
Behandlung eines zu geringen Wachstums bei Kindern
Nach erfolgter Diagnose gibt es unterschiedliche Möglichkeiten zur Behandlung einer KEV oder eben einer Wachstumsstörung auf Grund eines Wachstumshormonmangels. Während die Behandlung einer KEV nicht zwingend notwendig ist, können Kinder, die an einem Wachstumshormonmangel leiden, ihr Wachstum nicht ohne die Zugabe des fehlenden Wachstumshormons aufholen. Dabei gilt: Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser sind die Chancen, dass die Betroffenen ihre Zielgröße erreichen oder nur leicht darunter liegen[7] (vgl. auch Behandlungsmöglichkeiten einer Wachstumsstörung).
Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät ...
- Eine KEV ist eine erheblich bedingte Wachstumsverzögerung und nicht durch das Wachstumshormon bedingt.
- Leidet ein Kind an einer KEV, kommt es in den ersten 3 Lebensjahren zu einer Wachstumsabnahme.
- Litt ein oder beide Elternteile ebenfalls an einer Wachstumsverzögerung, kann das ein Hinweis auf die KEV des Kindes sein.
- Eine KEV kann mit einer medikamentösen Therapie behandelt werden – notwendig ist eine Behandlung aber nicht. In der Regel wird dennoch eine nur leicht unter dem Durchschnitt liegende Endgröße erreicht.
Geringes Wachstum muss immer mit dem Endokrinologen abgeklärt werden!
... oder vermindertes Wachstum aufgrund eines Wachstumshormonmangels?
- Beim Wachstumshormonmangel wird ungenügend viel Wachstumshormon ausgeschüttet.
- Beim Wachstumshormonmangel kommt es in den ersten 3 Lebensjahren zu einer Wachstumsabnahme.
- Bei einem Wachstumshormonmangel ist schon bei Neugeborenen oft der Blutzuckerspiegel niedrig.
- Ein Wachstumshormonmangel muss dringend behandelt werden – denn später kann das Wachstum nicht mehr aufgeholt werden.
Geringes Wachstum muss immer mit dem Endokrinologen abgeklärt werden!
Verwendete Quellen im Überblick & Online-Recherchen
[A] Der Arzt benutzt spezielle Kurvenblätter (Perzentilkurven oder auch Wachstumskurven genannt), um das Wachstum zu erfassen und zu sehen, wie sich ein Kind entwickelt. Erstellt wurden diese Wachstumskurven, indem man die Größe und das Gewicht vieler gesunder Mädchen im gleichen Alter gemessen hat. Im gelben Heft finden Sie im hinteren Teil diese Perzentilkurven.
[B] Wegen der besseren Lesbarkeit wird im Text zum Teil auf die gleichzeitige Verwendung geschlechtsbezogener Personenbegriffe verzichtet. Gemeint und angesprochen sind – sofern zutreffend – immer alle Geschlechter.
[C] Konstitutionell bedeutet in der Medizin „durch die Anlagen oder Gene bedingt“.
[D] Ein Kinderarzt, der auf die Diagnostik und Behandlung von Hormonstörungen spezialisiert ist.
[0] Bettendorf, M. (2019): „Endokrinologie“, in: Ertan Mayatepek (Hg.): Pädiatrie. Grundlagen, Theorie und Praxis, S. 175–217. Urban&Fischer, München
[1] Reinehr, T. et al. (2019): „Characteristic dynamics of height and weight in preschool boys with constitutional delay of growth and puberty or hypogonadotropic hypogonadism“, Clinical Endocrinology Vol. 91/3.
[3] http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2010/0205/pdf/dfs.pdf
[4] https://flexikon.doccheck.com/de/Kleinwuchs#Konstitutionelle_Entwicklungsverz.C3.B6gerung
[5] https://www.apotheken.de/krankheiten/5707-kleinwuchs
[6] https://edoc.ub.uni-muenchen.de/7774/1/Neudecker_Nikola.pdf
[7] https://www.kinderaerzte-im-netz.de/krankheiten/kleinwuchs-wachstumsstoerungen/therapie/
[8] https://www.gesundmed.de/krankheiten/wachstumsstoerungen-2/
[9] https://www.netdoktor.de/krankheiten/wachstumshormonmangel/